Sonntag, 9. September 2012

Wände, in denen Löcher klaffen.
Verwandte, die vor Schreck erblassen,
wenn sie über die Grenze gehen
und wie in einen Abgrund sehen.

Die Fingernägel kurz gebissen,
mit Klingen dünnes Fleisch zerrissen.
Erleichterung hat man empfunden,
es dann liebevoll abgebunden.

Zeichen habe man gesehen,
die kaum einmal sie selbst verstehen,
dann alles minutiös notiert
und den Papierrand ignoriert.

Ich sah sie durch den Spiegel springen
und dort mit ihrem Schatten ringen.
Ein Heer umlagerte das Ich,
außer Feinden nichts nichts nichts.

Hier wo des Wahnsinns Flaggen wehen
sieht man die Jahre dumpf verwehen.
Einer Wüstenlandschaft gleich
ruht das angsterfüllte Reich.


Freitag, 7. September 2012

Über der Stadt

Zwischen grob verfugten Mauern sitzen
auf steinigen Treppen mit spitzen
Ohren die Katzen der Provence.

Der Wind, berüchtigter Mistral,
rauscht über die Gassen,
in denen noch Katzen saßen,
bevor ich sie durchschritt.

Man könnte meinen,
sie hüten die Türen,
blau bestrichen, mit Eisenringen,
durch die kein Fluch kann dringen.

Doch wären sie dann nicht Geschöpfe der Nacht,
in sich gekehrt und gleichsam hellwach,
wenn um sie herum das Leben verlischt
und die Stadt nur mehr leises Rauschen ist.


Freitag, 10. Februar 2012

Die am Leben bleibt
ist so anders nicht
als die von Wondratschek Beschriebene.
Gewiss war auch sie wie geschaffen für das Unglück,
aber sie hatte einen Brief bekommen.
Ich vermute nicht nur einen.
Briefe der Unterwürfigkeit
im Gewand der Entschlossenheit.
Aber sie lässt sich nicht täuschen.
Sie kennt die Schwächen der Männer.

Sie bleibt schwierig mit ihrer starken Idee
vom Glück.
Sie bleibt allein mit ihrer maßlosen Idee
vom Glück.
Zumindest aber
bleibt sie am Leben.


Samstag, 7. Januar 2012

Kein Gedicht

Eines sonnigen Morgens
werde ich kein Gedicht schreiben.
Stattdessen ziehe ich blaue Luft in meine Lungen.
Gesundheit war mir schon immer wichtig.
Dann, wenn der Tag ohne Bedauern verstrichen ist,
tauche ich in das dunkelnde Meer,
lasse mich von Ängsten umspülen,
von denen ich lange schon träumte.


Donnerstag, 29. Dezember 2011

Verwirrung

Manche Tage sind gleich,
manche unvergleichbar.
Der Unterschied manchmal nur ein Augenblick
wie ein hölzernes Pferd voller Glück.
Vergessen.
Wie ist das möglich?
Wohin fließt die Erfahrung von Wärme?


Sonntag, 18. Dezember 2011

Die Dächer meiner italienischen Stadt

Verwinkelt - unruhige Oberfläche.
Darüber warme Luft leicht zirkuliert.
Künstliche Streifen, Makel des sonst
ungetrübten Himmels, weisen in die Ferne.
Unten eine Schildkröte, die sich langsam über
den Steinboden bewegt, ihren Schatten zieht
und noch eine weitere Kreatur - zwischen
Gittern und Wänden - leidendes Leben,
ein konstantes Wimmern - moralische Resonanz.
Vor Augen Ziegeln und Antennen,
Splitter, zerfallende Strukturen.
Der Blick in ein Fenster - tabuisiert.
Hinter den Häusern erstreckt sich der Berg
als grün strahlende Grenze der Szenerie.
Vereinzelt Tauben, Musik, fließende Worte,
die Füße berühren heißen Beton -
friedliche Mittagszeit.


Wäre ich noch erschöpfter
würde ich sie nicht einmal ansehen.
Aber ich sehe sie an. Lange, immer wieder
und viel zu gerne.
Wie sie den alten Herrschaften Kaffee serviert.
Da gibt es Grund zu lächeln. Und Gründe
kann es nicht genug geben, denn an so einem Lächeln
sieht man sich so bald nicht satt.
Satt habe ich nur die pausenlose Aufführung eines Satzes,
den ich niemals aussprechen werde.
Gut, ich muss ohnehin zurück in Berlins Mitte.
Na dann: Die Rechnung bitte!